Erinnerung an Georg, Elsa und Ilse Frischmann

Zwei weiße Rosen, eine Kerze und die Broschüren über Familie Frischmann vor ihrem ehemaligen Wohnhaus am 10. November 2022

Am 10. November 2022 haben wir als Chor zusammen mit der kosmotique in Dresden, dem AKuBiZ Pirna und dem Autor*innenkollektiv „audioscript – zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden 1933–1945“ an die Dresdner Familie Frischmann erinnert. An ihrem ehemaligen Wohnhaus in der heutigen Rothenburger Straße 46 (Ecke zur Louisenstraße) brachten wir temporär Texte an und legten kleine Broschüren aus, die über Georg, Elsa und Ilse Frischmann informierten. Ihre Geschichte ist eine Geschichte von rassistischer und politischer Verfolgung, Deportation und Ermordung, aber auch eine Geschichte von Solidarität und Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Erinnerungszeichen für Familie Frischmann an der heutigen Rothenburger Straße 46 in Dresden
Erinnerungszeichen für Familie Frischmann an der heutigen Rothenburger Straße 46 in Dresden

Georg Frischmann wird am 20. November 1896 in Dresden in eine jüdische Familie geboren. Er ist Kaufmann. Als junger Mann arbeitet er als Altwarenhändler und betreibt ein Geschäft auf der Markgrafenstraße 46 (heutige Rothenburger Straße 46, Eckhaus zur Louisenstraße). Seine Frau Elsa, geboren in Dresden am 21. Oktober 1894 als Elsa Heinrich), tritt zum jüdischen Glauben über, bevor sie heiraten. Am 27. September 1922 kommt ihre gemeinsame Tochter Ilse zur Welt. Etwa zu diesem Zeitpunkt ziehen sie in eine Wohnung in der Markgrafenstraße 46. Seine Frau und er betreiben nun im Erdgeschoss des Hauses ein Zigaretten- und Briefmarkengeschäft. In den frühen 1930er Jahren arbeitet Georg Frischmann im Kaufhaus ReKa, bis Juden und Jüdinnen dort nicht mehr arbeiten dürfen, anschließend in einer Werkstatt für Uniformteile. Georg Frischmann ist Mitglied im „Touristenverein – Die Naturfreunde“ und im Skatverein.

Ilse besucht seit 1929 die Volksschule. Im Sommer 1936, ein halbes Jahr vor ihrem Schulabschluss, wird sie vorzeitig aus der Volksschule ausgeschlossen. Sie nimmt am Ersatzschuldienst teil, den die Gemeinde in der Synagoge einrichtet. 1937 bis 1938 hat sie eine Lehrstelle als Modistin in der jüdischen Firma „Simson & Stern“ in der Schlüterstraße. Nach der „Arisierung“, also dem Raub der Firma und dem Verbot der Anstellung von Juden und Jüdinnen, wird sie aus dem Lehrverhältnis entlassen.

Sie entdeckt das Bergsteigen für sich und fährt, so oft es möglich ist, raus in die Sächsische Schweiz. Mit ihrer Freundin Erna Röder und Vater Georg besteigt sie beispielsweise im April 1939 den Daxenstein im Bielatal. Gelegentlich fährt die damals 16-Jährige die ca. 40 Kilometer mit dem Fahrrad allein und erklimmt in Ermangelung geeigneter Seilpartner*innen Berge im Alleingang. Als Jüdin hat Ilse Frischmann keine Chance, Mitglied in einem Kletterclub zu werden. Dennoch findet sie solidarische Bergfreunde und geht mit ihrer Unterstützung auf weitere Touren. Mit Angehörigen des Klubs „Hansensteiner 27“ und „Frankensteiner 10“ steigt sie sehr schwere Wege. Im Sommer 1941 gelingt ihr sogar, in Begleitung von Hans Bäre, im Wilden Kaiser (Alpen) der Aufstieg auf „Totenkichl“ und „Fleischbank“.

Mit dem Zwang, den „Gelben Stern“ zu tragen und das Verlassen der Wohngemeinde schriftlich genehmigen zu lassen, wird das Klettern für Ilse Frischmann nahezu, doch nicht ganz unmöglich, denn noch im Januar 1943 nehmen Bergfreund*innen sie auf fast geheim gehaltene Touren mit. Sie unterstützen Ilse, indem sie ihr Ausrüstung, Kleidung und Fahrkarten organisieren.

Kletterschuhe von Ilse Frischmann im AKuBiZ 2022
Kletterschuhe von Ilse Frischmann im AKuBiZ 2022

Aus den Jahren auf der Wiener Straße erinnert sie: „Die Beschränkungen nahmen zu. Im Sommer mußten wir um acht im Haus sein, im Winter um sieben. Im Winter ging ich noch bei Dunkelheit zum nahen Bahnhof Strehlen und fuhr mit dem Zug in die Sächsische Schweiz. Ich kam bei Dunkelheit zurück, rannte nach Hause und lag um 7 Uhr, wenn die Polizei kontrollierte, schon im Bett.“ (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e. V., Redaktion: Stellmacher, Hildegart: Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Berlin 1994, S. 96)

Schon vor 1935 werden die Frischmanns von einem Hausbewohner drangsaliert: „Schlimm war, daß wir in unserem Hause, was ich nicht wußte, einen Gestapo-Mann wohnen hatten. Der war später Chef für die Judentransporte in Dresden; Köhler hieß er. Der ist uns schon vor 1935 ständig angegangen, hat zum Beispiel mehrfach an die Haustür ein Schild gehängt: „Georg, Else und Ilse Frischmann sind Juden. Wer mit Juden verkehrt, ist ein Volksverräter.“ […] Ich hatte aber auch Freunde vom Bergsteigen, die bis zuletzt zu mir hielten und die mich besuchten. Einer meiner Bergkameraden war so frech und hat nachts die Schilder von dem Gestapo-Mann abgemacht und zerrissen. Es gab immer welche, die uns ein bissel aufgemuntert haben.“ („Das war die absolute Ausgrenzung!“, in: Dresdner Geschichtsverein e. V. (Hg.): Dresdner Hefte Nr. 35. Dresden 1993, Seite 27–33)

ehemaliges Wohnhaus der Familie Frischmann in der heutigen Rothenburger Straße 46 in Dresden
Rothenburger Straße 46 in Dresden, 2022

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wird das Geschäft für Uniformteile, in dem Georg Frischmann arbeitet, geplündert und zerstört. Abends beobachten Ilse Frischmann und ihre Eltern aus ihrer Wohnung, wie das Bekleidungsgeschäft von Josef Natowitz gegenüber, in der Louisenstraße 55, zerstört wird, und anschließend das Tabakgeschäft der Mutter unten im Haus:
„Wir wohnten damals in der Markgrafenstraße, Ecke Louisenstraße. Meine Mutter hatte einen kleinen Laden mit Tabakwaren und Briefmarken. Untern im Haus war unser Laden, aber unsere Wohnung war im dritten Stock, mit Küche, Schlafzimmer und meinem Zimmer. […] In der Nacht des 9. November 1938 kamen SA-Männer mit Lastwagen und Fackeln laut grölend durch unsere Straße. Wir standen am Fenster, hinter den Gardinen, und sahen, wie sie das Textilgeschäft von Natowitz verwüsteten. Dann splitterten in unserem Haus unten die Scheiben.“ (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e. V., Redaktion: Stellmacher, Hildegart: Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Berlin 1994, S. 96)

Georg Frischmann in Dresdner Adreßbuch 1937
Dresdner Adressbuch von 1937: Georg Frischmann und sein Vater Adolf Frischmann

1939 wird die Familie Frischmann, vermutlich auf Drängen des im Haus wohnenden Beauftragten für Judenangelegenheiten des Kreisleiters der NSDAP Köhler, aus ihrer Wohnung in der Markgrafenstraße 46 ausgewiesen und gezwungen, in das Haus Wiener Straße 85, das Haus der Familie Hirschel, umzuziehen, das später zu einem sogenannten Judenhaus wurde. 32 solcher Häuser gab es in Dresden. Ihr Zweck war, Jüdinnen und Juden auf engsten Wohnraum zu zwingen und von Nichtjüdinnen und -juden zu separieren.

1943 müssen sie in das „Judenhaus“ Zeughausstraße 3 umziehen, das ehemalige Gemeindezentrum neben der am 9. November niedergebrannten Synagoge. Zwischen 1938 und 1941 leistet Ilse Frischmann Zwangsarbeit in der Hutfabrik Groteheun und Co. 1941 bis 1942 wird sie außerdem zu weiteren Einsätzen befohlen, u. a. tageweise zum Schneeräumen oder zu Entladearbeiten auf dem Bahnhof. Sie arbeitet auch im Lager einer Werkstatt für Uniformteile. 1942/43, möglicherweise auch bis 1944, leistet sie Zwangsarbeit in der Kartonagenfabrik Bauer. Georg Frischmann arbeitet im „Judenhaus“ als Friseur und als Schuster für die Gemeindemitglieder.

In der Zeughausstraße 3 leben Frischmanns mit Victor Klemperer zusammen. In seinen Tagebüchern kann man immer wieder über die Familie lesen. Am 4. Juni 1944 notiert er: „Affäre Frischmann. [Georg] Frischmann ist Haarschneider, Schuster, Markenhändler, Allerweltsmann im Hause. Seine Tochter, Anfang zwanzig, […] kam mir einmal beim Kohlentragen zu Hilfe. Vor zwei Tagen sind Mutter und Tochter verhaftet worden: Briefwechsel der Ilse Frischmann mit einem der vergnügten Russengefangenen entdeckt. Der Russe ist gleich in die Baracken nebenan gebracht worden; die beiden Frauen, mindestens die Tochter, rettungslos verloren. Auf dem Barackenhof ist es still, kein Blasen und Klimpern mehr, kein Ballspiel, kein Turnen.“ (Nowojski, Walter (Hg.): Victor Klemperer: Die Tagebücher 1933–1945. CD-Rom. Kommentierte Gesamtausgabe, 2007)

Es folgen für Ilse Monate der Haft in Dresden, Verhöre und Misshandlungen. Ilse hatte von ihrem Kletterfreund Gerhard Hofmann einen Feldpostbrief erhalten, in dem er schrieb: „Ilse, halt den Kopf hoch, der Schuppen bricht bald zusammen.“ Dieser Brief gelangt durch die Verhaftung in die Hände der Gestapo und Gerhard Hofmann wird erschossen.

Am 29. Juni 1944 wird auch Georg Frischmann verhaftet. Vermutlich gemeinsam werden Ilse Frischmann und ihr Vater im September 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Eine schwere Typhuserkrankung bewahrt Ilse vor dem Todesmarsch bei der Räumung des Lagers; sie wird im Januar 1945 befreit. Von ihren 28 Verwandten hat außer ihr nur ihre Mutter überlebt.

Georg Frischmann wurde am 25. Januar 1945 in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert und dort am 7. Februar 1945 ermordet.

Gegen Elsa Frischmann erfolgte im Juni 1944 der „Schutzhaftbefehl“ mit der Begründung, dass sie Verbindung zu sowjetischen Kriegsgefangenen unterhalten habe. Nach drei Wochen wurde sie zunächst wieder freigelassen, aber bereits am 29. Juni 1944 erneut, diesmal gemeinsam mit ihrem Mann, verhaftet. Sie wurde in einem Gerichtsverfahren zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt und in die Haftanstalt Waldheim verbracht. 1945 wurde sie von der Sowjetarmee aus dem Zuchthaus Waldheim befreit. Der Umgang mit Blei in Waldheim war die Ursache ihres Todes am 16. Juli 1964.

Ilse Frischmann starb am 5. Juli 2009 in Dresden.

Literatur:

audioscript – zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden 1933–1945, Ein Stadtrundgang in 13 Tracks – online abrufbar unter www.audioscript.net
„Das war die absolute Ausgrenzung!“, in: Dresdner Geschichtsverein e. V. (Hg.): Dresdner Hefte Nr. 35. Dresden 1993, Seite 27–33.
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e. V., Redaktion: Stellmacher, Hildegart: Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Berlin 1994.
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden, Arbeitskreis Gedenkbuch (Hg.): Buch der Erinnerung. Juden in Dresden – deportiert, ermordet, verschollen, Dresden 2006.
Nowojski, Walter (Hg.): Victor Klemperer: Die Tagebücher 1933–1945. CD-Rom. Kommentierte Gesamtausgabe, 2007.
Schindler, Joachim: Die jüdische Dresdner Bergsteigerin Ilse Frischmann. München 2005.
Schindler, Joachim: Wie die jüdische Bergsteigerin Ilse Frischmann aus Dresden Auschwitz überlebte, in: Schindler, Joachim: Rote Bergsteiger. Pirna 2021, Seite 103–111. Das Buch ist hier erhältlich: https://akubiz.de/38-verein/news/780-rote-bergsteiger-das-neue-buch-ueber-den-widerstand-aus-dem-bergsport-milieu