Apergia – Streik!

 

Heute, zum Tag der Arbeiter:innenbewegung, melden wir uns nach langer Zeit wieder mit einem Beitrag, diesmal zum griechischen Lied Apergia – Streik! Am 1. Mai 1890 wurden zum ersten Mal am „Protest- und Gedenktag“ in der ganzen Welt Demonstrationen und Streiks durchgeführt. Auch über 130 Jahre später ist Streik noch immer ein legitimes und zielführendes Mittel im Kampf um Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Doch nicht immer ist ein Streikaufruf auf die konkrete Situation in den Fabriken und Betrieben, auf den Feldern oder in den Minen bezogen. Ein Beispiel aus Griechenland zeigt, dass der Aufruf zum Streik auch die Verbesserung der Lebensbedingungen ganzer Bevölkerungsteile, hier der verarmten Landbevölkerung, zum Ziel haben kann.

Deshalb präsentieren wir euch ein griechisches Lied mit dem Namen Apergia (απεργία, „Streik). Der 1950 geborene  Sänger Vasilis Papakonstantinou veröffentliche das Stück 1975 auf seinem Album Ta Agrotika“ (Τα αγροτικά, „Das Ländliche“).

Apergia – Antifaschistischer Laienchor Pir-Moll, Probe im Juni 2020:
Das Album selbst wurde von Papakonstantinou gemeinsam mit Thomas Bakalakos schon 1973 geschrieben, wobei die griechische Militärjunta die Veröffentlichung, wie auch die Verbreitung der Lieder untersagte. Dennoch soll Bakalakos einige Lieder des Albums im August 1973 in einer Bar in Plaka, der historischen Altstadt Athens, gesungen haben – etwa ein halbes Jahr vor dem Niedergang der Junta und auch noch vor der Revolte vom 17. November 1973, die an der Polytechnischen Universität in Athen dutzende Todesopfer unter den Aufständischen forderte.

Papakonstantinou lebte zunächst mit seinen Eltern und seinen 15 Geschwistern in Athen. 1973 zog er nach München und unterstützte von dort aus den Kampf gegen die Junta, die seit Frühling 1967 herrschte. Nach ihrem Sturz, und der allmählich zurückkehrenden Demokratie, zog er wieder nach Griechenland und begann eine Zusammenarbeit mit dem bekannten Sänger Mikis Theodorakis. In den Folgeahren nahm er aktiv an Kundgebungen der Arbeiterbewegung teil oder sang bei ihren Streiks. Papakonstantinou ist bis heute ein beliebter griechischer Liedermacher und auch politischer Aktivist. Zuletzt setzte er sich vehement für das Οχι („Nein“) in der Volksabstimmung zu weiteren von der Troika auferlegten Sparmaßnahmen ein.

Inhaltlich bezieht sich der Text auf die existenziellen Nöte und daraus folgenden Kämpfe der griechischen Landbevölkerung zum Ende der Militärdiktatur. Um nachzuvollziehen, wie es dazu kam, lohnt wie immer der Exkurs in die Historie:

Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verließen schätzungsweise 200.000 Menschen (bei einer damaligen Bevölkerung von ca. 2,5 Millionen) das Land und wanderten größtenteils in die USA aus. Es folgten Jahrzehnte der politischen Instabilität im frühen 20. Jahrhundert und schließlich der Türkisch-Griechische Krieg (1919-1922), der in der „Kleinasiatischen Katastrophe“ von 1921/22 gipfelte. Sie bedeutete die Vertreibung von etwa 1,2 Millionen Griech:innen aus der Türkei und wiederum etwa 500.000 Muslim:innen aus dem griechischen Staatsgebiet in die Türkei. Etliche wechselnde Regierungskoalitionen und gescheiterte Putschte führten das Land schließlich ab 1936 in die monarchofaschistische Diktatur Metaxas‘. Mit dem Angriff italienischer Truppen im Oktober 1940 und schließlich dem Überfall der Wehrmacht ein halbes Jahr später, erlebte auch Griechenland die unvorstellbaren Greuel des Zweiten Weltkrieges. Allein im ersten Winter 1941/42 sollen schätzungweise bis zu 95.000 Menschen erfroren und verhungert sein. 81 Prozent der jüdischen Bevölkerung Griechenlands wurden in Vernichtungslagern in Polen ermordet.

Dennoch organisierte sich der Widerstand in der griechischen Gesellschaft, insbesondere in den ländlichen Gebieten Zentralgriechenlands. Er war geprägt durch die kommunistische EAM (Ethnikó Apelevtherotikó Métopo, „Nationale Befreiungsfront“), die ein Sammelbecken von Kommunist:innen, Sozialist:innen, Republikaner:innen und Gewerkschaftler:innen war und in wenigen Jahren zur Massenbewegung wurde. Dies hatte jedoch einen hohen Preis: Repressalien und willkürliche Morde der Wehrmacht und der SS gegen die Bevölkerung bestimmten den Alltag. Es gab Tausende Todesopfer.

Nicht nur im bewaffneten Kampf konnte sich die EAM bzw. der militärische Arm ELAS (Ethnikós Laikós Apelevtherotikós Stratós, „Volksbefreiungsarmee“) sowohl gegen andere royalistische oder nationalistische Partisan:innen-Gruppen, faschistische Kollaborateur:innen und schließlich auch im Kampf gegen die Achsenmächte durchsetzen. Die Bewegung errichtete in Teilen des Landes eine Basisdemokratie, führte das Frauenwahlrecht ein und konnte in den Bereichen Bildung, Kultur oder Gerichtsbarkeit gerade für die Landbevölkerung erkennbare Verbesserungen etablieren.

Allerdings wurden die Partisan:innen nach dem Abzug der Wehrmacht im Oktober 1944 bald als kommunistische Terrorverbände diskridetiert. Schon zuvor hatten sich royalistische und pro-britische Politiker in Griechenland in Stellung gebracht, die nun die Regierungsgewalt übernahmen. Großbritannien hatte ein großes Interesse daran, Griechenland im eigenen Einflussbereich zu halten, der Seeweg nach Indien musste unter Kontrolle bleiben, der Einfluss von Stalins Sowjetunion auf die kommunistisch orientierten Bevölkerungsteile geschwächt werden. Demnach sollte sogar die Monarchie wieder eingeführt werden. Im Dezember 1944 eskalierte die Situtation offen auf den Straßen Athens. Paritsan:innen-Verbände weigerten sich, ihre Waffen (wie auch ihre politischen und kulturellen Errungenschaften) herzugeben, britische Panzer schlugen den Aufstand nieder: Der Bürgerkrieg ging in die nächste Phase über. Die Fronten verliefen nun durch die Städte und Dörfer, oft durch die eigenen Familien. Die Resistance sollte vernichtet, die parlamentarische Monarchie wieder hergestellt werden. Emanzipatorische Kräfte, Kommunist:innen und Sozialist:innen mussten schon in den 1930er Jahren willkürliche Verhaftungen, Folterungen, Verbannung auf Gefängnisinseln und erzwungene Reueerklärungen ertragen. Diese Erfahrungen musste nun auch die nächste Generation machen. Etwa 130.000 Partisan:innen (bzw. deren Familien) flohen nach der Niederlage gegen die Royalisten nach Albanien und in andere sozialistische Länder.

Mit Beginn des Bürgerkrieges setzte in Griechenland außerdem eine neue Landflucht ein, die sich in den 1950er Jahren noch verschlimmerte, was vor allem Athen vor eine große Herausforderung stellte. Es kam zu einem planlosen Bauboom in der Stadt, der noch heute auffällig ist. Die ländliche Bevölkerung hatte kaum Arbeit, die meisten von ihnen lebten in Armut. Als schließlich in Australien und in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitskräfte gesucht wurden, setzte (erneut) eine Auswanderungswelle ein: Zwischen 1950 und 1974 verließen etwa eine Million Menschen das Land.

Der spezielle „ländliche Exodus“ (Αγροτική έξοδος) der Griech:innen war so quasi seit den ersten Verheerungen des Krieges über mehrere Jahrzehnte wirkmächtig in einer zuvor stark ländlich geprägten Gesellschaft. Neben der Auswanderung vieler Menschen aus eben diesen Gebieten in die Diaspora flohen ebenso viele Menschen aufgrund fehlender Perspektiven, aus Hunger und Armut in die wachsenden Großstädte, die zumindest prekäre Arbeitsperspektiven boten. In anderen Fällen war es den verfolgten Anhänger:innen der linken Parteien schlicht nicht mehr möglich, in ihrer Heimat zu leben; die anonymeren Städte versprachen dahingehend zumindest die Chance auf Arbeit, Ausbildung, Wohnraum.

Der prozentuale Anteil der Bevölkerung abseits der Städte Athen und Thessaloniki verringerte sich allein in den 1960er Jahren um ein Drittel – die ländliche Gesellschaft verlor so weite Teile ihres produktiven Potentials. Es wird ebenso geschätzt, dass über 80 % der in die Städte Strömenden zwischen 15 und 40 Jahre alt waren. Hunderte Dörfer wurden aufgegeben, ohne dass die folgende Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion die Situation der lokalen Bevölkerung verbessern konnte.

Die 1950er und 1960er Jahre in Griechenland werden gern als „steinerne Zeit“ bezeichnet, der Bürgerkrieg warf seinen Schatten und war omnipräsent. Dem Anschein nach hatte das Land eine parlamentarische Demokratie, tatsächlich herrschte ein totalitäres System. Militär, Polizei, Gendarmerie, Milizen, Justiz und Geheimdienste arbeiteten eng zusammen und bildeten einen im Untergrund agierenden „Nebenstaat“ (Parakratos). Diese Strukturen waren der parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle entzogen, hatten keinerlei Rechenschaftspflichten und arbeiteten eng mit den Sicherheitskräften zusammen. Dieses zunehmende Vakuum demokratischer Elemente mündete 1967 in den nächsten Putsch und die Militärdiktatur einer Gruppe von Obristen, nachweislich gestützt durch das US-amerikanische Außenministerium und die CIA, die auch schon in den Jahren zuvor den einzigen nicht-kommunistischen Staat auf dem Balkan militärisch und finanziell „unterstützte“.

Während der Junta wurden alle Organisationen, jede Art der Mobilisierung und demnach auch Streiks der Arbeiter:innen genauso verboten wie die Existenz von politischen Parteien. Infolgedessen brachen 1974 nach dem Ende der Diktatur spontane Arbeitskämpfe aus, die nicht von Parteien kontrolliert werden konnten. Diese spontanen und selbstorganisierten Kämpfe, die oft die Merkmale wilder Streiks oder Besetzungen annahmen, fanden bis zum Ende der 1970er Jahre wiederholt statt – und dies auch auf dem Land.

Hier gilt es den Bogen zum Lied zu spannen: „Auch wir wollen Brot. Auch die Bauernschaft hat Magen und Herz“ macht ziemlich deutlich, wie verloren und vergessen diese Menschen ihre Rolle in der Gesellschaft wahrnahmen. Folgerichtig wird aufgerufen, die Arbeit niederzulegen, mit den Traktoren in die Städte zu fahren. Tatsächlich gab es ab 1975 eine erstarkende Streikbewegung der Landwirt:innen, deren erste große Mobilisierung nach dem Fall der Junta im Februar 1975 etwa 3.000 Tomatenproduzent:innen aus Gastouni und Ilia mit 2.000 Traktoren veranlasste, wegen ihrer ungelösten Probleme nach Athen zu fahren.

Sie betonten: „Wir protestieren nachdrücklich gegen den Sicherheitspreis von Tomaten. Die Entscheidung der Regierung ist eine Provokation, weil die Interessen der Fabrikbesitzer erfüllt und gleichzeitig Tausende von Bauern ausgeraubt werden. Die Empörung von 3000 Landwirten wird fortlaufend durch die Politik der Verarmung und Vernichtung ausgelöst, die ihnen durch die Sicherheitsmaßnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse auferlegt wird. Diese Politik steht in krassem Gegensatz zu den Erklärungen der Regierung. Wir prangern es an und lehnen es ab!“ 

Gleichzeitig fand in Solidarität in Thessalien ein landwirtschaftlicher Streik statt. Die Märkte in Larissa, Trikala, Domoko, Sofades, Karditsa wurden boykottiert. Baumwollbauern verbrannen in den Dörfern Lofos und Evidrion ihre Ernte und weigerten sich, die staatlichen Vorgaben zu erfüllen. Die Regierung wiederum vermied es stur, die Forderungen der Tomatenbauern zu akzeptieren. In Psathopyrgos übernahmen an den Folgetagen Polizisten mit Straßensperren die Aufgabe, Proteste der Bauern zu zerschlagen. Student:innen und Bürger:innen aus Patras und den umliegenden Dörfern verteilten Wasser und Lebensmittel an die Streikenden.

Dieses Beispiel verdeutlicht anschaulich die erstarkende Streikbewegung, die nach der Metapolitefsi (Μεταπολίτευση, „Regimewechsel“) das ganze Land ergriff.

Im Übrigen ist die ländliche Bevölkerung Griechenlands auch heute noch in besonderem Ausmaß von Armut bedroht. Die erzwungenen Sparmaßnahmen der Troika bzw. der EU, die Liberalisierung der Märkte, die Privatisierungen und Steuererhöhungen fordern nach wie vor einen hohen Tribut. So stieg die Arbeitslosigkeit in den letzten zehn Jahren auf über 25 %, und auch aktuell gibt es in den ländlichen Regionen nur wenige junge Menschen, die ihre Zukunft nicht entweder in den griechischen Städten oder gar im Ausland sehen.

Deutsche Übersetzung des Liedes

Gebt alle eure Stimme
Wir wollen auch Brot
Auch die Bauernschaft
Hat Magen und Herz

Nachts und morgens
Sind wir eins mit der Erde
Es reicht, es reicht
Streik! Streik! Streik!

Mutter, bleib in deiner Ecke
Es beginnt ein neues Fest
Jetzt ist die Zeit gekommen
Dass wir ein bisschen vorankommen

Nachts und morgens
Sind wir eins mit der Erde
Es reicht, es reicht
Streik! Streik! Streik!

Es passen keine Worte mehr,
hört zu arbeiten auf
Mit den Traktoren aus dem Dorf
Fahren wir zur Stadt

Nachts und morgens
Sind wir eins mit der Erde
Es reicht, es reicht
Streik! Streik! Streik!

Griechischer Text des Liedes

Βάλτε όλοι μια φωνή,
θέλουμε κι εμείς ψωμί,
έχει και η αγροτιά
και στομάχι και καρδιά.

Νύχτα και πρωί,ένα με τη γη,
χωρίς ανάσα μια,
φτάνει πια, φτάνει πια.
Απεργία, απεργία, απεργία.

Μάνα κάτσε στη γωνιά,
άλλο γλέντι αρχινά,
τώρα ήρθε ο καιρός,
για να πάμε λίγο μπρος.

Νύχτα και πρωί,
ένα με τη γη,
χωρίς ανάσα μια,
φτάνει πια, φτάνει πια.
Απεργία, απεργία, απεργία.

Δε χωράνε λόγια πια,
παρατήστε τη δουλειά,
με τρακτέρ απ‘ το χωριό
για την πόλη μια και δυο.

Νύχτα και πρωί,
ένα με τη γη,
χωρίς ανάσα μια,
φτάνει πια, φτάνει πια.
Απεργία, απεργία, απεργία

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