Erinnerung an Georg, Elsa und Ilse Frischmann

Zwei weiße Rosen, eine Kerze und die Broschüren über Familie Frischmann vor ihrem ehemaligen Wohnhaus am 10. November 2022

Am 10. November 2022 haben wir als Chor zusammen mit der kosmotique in Dresden, dem AKuBiZ Pirna und dem Autor*innenkollektiv „audioscript – zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden 1933–1945“ an die Dresdner Familie Frischmann erinnert. An ihrem ehemaligen Wohnhaus in der heutigen Rothenburger Straße 46 (Ecke zur Louisenstraße) brachten wir temporär Texte an und legten kleine Broschüren aus, die über Georg, Elsa und Ilse Frischmann informierten. Ihre Geschichte ist eine Geschichte von rassistischer und politischer Verfolgung, Deportation und Ermordung, aber auch eine Geschichte von Solidarität und Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Erinnerungszeichen für Familie Frischmann an der heutigen Rothenburger Straße 46 in Dresden
Erinnerungszeichen für Familie Frischmann an der heutigen Rothenburger Straße 46 in Dresden

Georg Frischmann wird am 20. November 1896 in Dresden in eine jüdische Familie geboren. Er ist Kaufmann. Als junger Mann arbeitet er als Altwarenhändler und betreibt ein Geschäft auf der Markgrafenstraße 46 (heutige Rothenburger Straße 46, Eckhaus zur Louisenstraße). Seine Frau Elsa, geboren in Dresden am 21. Oktober 1894 als Elsa Heinrich), tritt zum jüdischen Glauben über, bevor sie heiraten. Am 27. September 1922 kommt ihre gemeinsame Tochter Ilse zur Welt. Etwa zu diesem Zeitpunkt ziehen sie in eine Wohnung in der Markgrafenstraße 46. Seine Frau und er betreiben nun im Erdgeschoss des Hauses ein Zigaretten- und Briefmarkengeschäft. In den frühen 1930er Jahren arbeitet Georg Frischmann im Kaufhaus ReKa, bis Juden und Jüdinnen dort nicht mehr arbeiten dürfen, anschließend in einer Werkstatt für Uniformteile. Georg Frischmann ist Mitglied im „Touristenverein – Die Naturfreunde“ und im Skatverein.

Ilse besucht seit 1929 die Volksschule. Im Sommer 1936, ein halbes Jahr vor ihrem Schulabschluss, wird sie vorzeitig aus der Volksschule ausgeschlossen. Sie nimmt am Ersatzschuldienst teil, den die Gemeinde in der Synagoge einrichtet. 1937 bis 1938 hat sie eine Lehrstelle als Modistin in der jüdischen Firma „Simson & Stern“ in der Schlüterstraße. Nach der „Arisierung“, also dem Raub der Firma und dem Verbot der Anstellung von Juden und Jüdinnen, wird sie aus dem Lehrverhältnis entlassen.

Sie entdeckt das Bergsteigen für sich und fährt, so oft es möglich ist, raus in die Sächsische Schweiz. Mit ihrer Freundin Erna Röder und Vater Georg besteigt sie beispielsweise im April 1939 den Daxenstein im Bielatal. Gelegentlich fährt die damals 16-Jährige die ca. 40 Kilometer mit dem Fahrrad allein und erklimmt in Ermangelung geeigneter Seilpartner*innen Berge im Alleingang. Als Jüdin hat Ilse Frischmann keine Chance, Mitglied in einem Kletterclub zu werden. Dennoch findet sie solidarische Bergfreunde und geht mit ihrer Unterstützung auf weitere Touren. Mit Angehörigen des Klubs „Hansensteiner 27“ und „Frankensteiner 10“ steigt sie sehr schwere Wege. Im Sommer 1941 gelingt ihr sogar, in Begleitung von Hans Bäre, im Wilden Kaiser (Alpen) der Aufstieg auf „Totenkichl“ und „Fleischbank“.

Mit dem Zwang, den „Gelben Stern“ zu tragen und das Verlassen der Wohngemeinde schriftlich genehmigen zu lassen, wird das Klettern für Ilse Frischmann nahezu, doch nicht ganz unmöglich, denn noch im Januar 1943 nehmen Bergfreund*innen sie auf fast geheim gehaltene Touren mit. Sie unterstützen Ilse, indem sie ihr Ausrüstung, Kleidung und Fahrkarten organisieren.

Kletterschuhe von Ilse Frischmann im AKuBiZ 2022
Kletterschuhe von Ilse Frischmann im AKuBiZ 2022

Aus den Jahren auf der Wiener Straße erinnert sie: „Die Beschränkungen nahmen zu. Im Sommer mußten wir um acht im Haus sein, im Winter um sieben. Im Winter ging ich noch bei Dunkelheit zum nahen Bahnhof Strehlen und fuhr mit dem Zug in die Sächsische Schweiz. Ich kam bei Dunkelheit zurück, rannte nach Hause und lag um 7 Uhr, wenn die Polizei kontrollierte, schon im Bett.“ (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e. V., Redaktion: Stellmacher, Hildegart: Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Berlin 1994, S. 96)

Schon vor 1935 werden die Frischmanns von einem Hausbewohner drangsaliert: „Schlimm war, daß wir in unserem Hause, was ich nicht wußte, einen Gestapo-Mann wohnen hatten. Der war später Chef für die Judentransporte in Dresden; Köhler hieß er. Der ist uns schon vor 1935 ständig angegangen, hat zum Beispiel mehrfach an die Haustür ein Schild gehängt: „Georg, Else und Ilse Frischmann sind Juden. Wer mit Juden verkehrt, ist ein Volksverräter.“ […] Ich hatte aber auch Freunde vom Bergsteigen, die bis zuletzt zu mir hielten und die mich besuchten. Einer meiner Bergkameraden war so frech und hat nachts die Schilder von dem Gestapo-Mann abgemacht und zerrissen. Es gab immer welche, die uns ein bissel aufgemuntert haben.“ („Das war die absolute Ausgrenzung!“, in: Dresdner Geschichtsverein e. V. (Hg.): Dresdner Hefte Nr. 35. Dresden 1993, Seite 27–33)

ehemaliges Wohnhaus der Familie Frischmann in der heutigen Rothenburger Straße 46 in Dresden
Rothenburger Straße 46 in Dresden, 2022

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wird das Geschäft für Uniformteile, in dem Georg Frischmann arbeitet, geplündert und zerstört. Abends beobachten Ilse Frischmann und ihre Eltern aus ihrer Wohnung, wie das Bekleidungsgeschäft von Josef Natowitz gegenüber, in der Louisenstraße 55, zerstört wird, und anschließend das Tabakgeschäft der Mutter unten im Haus:
„Wir wohnten damals in der Markgrafenstraße, Ecke Louisenstraße. Meine Mutter hatte einen kleinen Laden mit Tabakwaren und Briefmarken. Untern im Haus war unser Laden, aber unsere Wohnung war im dritten Stock, mit Küche, Schlafzimmer und meinem Zimmer. […] In der Nacht des 9. November 1938 kamen SA-Männer mit Lastwagen und Fackeln laut grölend durch unsere Straße. Wir standen am Fenster, hinter den Gardinen, und sahen, wie sie das Textilgeschäft von Natowitz verwüsteten. Dann splitterten in unserem Haus unten die Scheiben.“ (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e. V., Redaktion: Stellmacher, Hildegart: Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Berlin 1994, S. 96)

Georg Frischmann in Dresdner Adreßbuch 1937
Dresdner Adressbuch von 1937: Georg Frischmann und sein Vater Adolf Frischmann

1939 wird die Familie Frischmann, vermutlich auf Drängen des im Haus wohnenden Beauftragten für Judenangelegenheiten des Kreisleiters der NSDAP Köhler, aus ihrer Wohnung in der Markgrafenstraße 46 ausgewiesen und gezwungen, in das Haus Wiener Straße 85, das Haus der Familie Hirschel, umzuziehen, das später zu einem sogenannten Judenhaus wurde. 32 solcher Häuser gab es in Dresden. Ihr Zweck war, Jüdinnen und Juden auf engsten Wohnraum zu zwingen und von Nichtjüdinnen und -juden zu separieren.

1943 müssen sie in das „Judenhaus“ Zeughausstraße 3 umziehen, das ehemalige Gemeindezentrum neben der am 9. November niedergebrannten Synagoge. Zwischen 1938 und 1941 leistet Ilse Frischmann Zwangsarbeit in der Hutfabrik Groteheun und Co. 1941 bis 1942 wird sie außerdem zu weiteren Einsätzen befohlen, u. a. tageweise zum Schneeräumen oder zu Entladearbeiten auf dem Bahnhof. Sie arbeitet auch im Lager einer Werkstatt für Uniformteile. 1942/43, möglicherweise auch bis 1944, leistet sie Zwangsarbeit in der Kartonagenfabrik Bauer. Georg Frischmann arbeitet im „Judenhaus“ als Friseur und als Schuster für die Gemeindemitglieder.

In der Zeughausstraße 3 leben Frischmanns mit Victor Klemperer zusammen. In seinen Tagebüchern kann man immer wieder über die Familie lesen. Am 4. Juni 1944 notiert er: „Affäre Frischmann. [Georg] Frischmann ist Haarschneider, Schuster, Markenhändler, Allerweltsmann im Hause. Seine Tochter, Anfang zwanzig, […] kam mir einmal beim Kohlentragen zu Hilfe. Vor zwei Tagen sind Mutter und Tochter verhaftet worden: Briefwechsel der Ilse Frischmann mit einem der vergnügten Russengefangenen entdeckt. Der Russe ist gleich in die Baracken nebenan gebracht worden; die beiden Frauen, mindestens die Tochter, rettungslos verloren. Auf dem Barackenhof ist es still, kein Blasen und Klimpern mehr, kein Ballspiel, kein Turnen.“ (Nowojski, Walter (Hg.): Victor Klemperer: Die Tagebücher 1933–1945. CD-Rom. Kommentierte Gesamtausgabe, 2007)

Es folgen für Ilse Monate der Haft in Dresden, Verhöre und Misshandlungen. Ilse hatte von ihrem Kletterfreund Gerhard Hofmann einen Feldpostbrief erhalten, in dem er schrieb: „Ilse, halt den Kopf hoch, der Schuppen bricht bald zusammen.“ Dieser Brief gelangt durch die Verhaftung in die Hände der Gestapo und Gerhard Hofmann wird erschossen.

Am 29. Juni 1944 wird auch Georg Frischmann verhaftet. Vermutlich gemeinsam werden Ilse Frischmann und ihr Vater im September 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Eine schwere Typhuserkrankung bewahrt Ilse vor dem Todesmarsch bei der Räumung des Lagers; sie wird im Januar 1945 befreit. Von ihren 28 Verwandten hat außer ihr nur ihre Mutter überlebt.

Georg Frischmann wurde am 25. Januar 1945 in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert und dort am 7. Februar 1945 ermordet.

Gegen Elsa Frischmann erfolgte im Juni 1944 der „Schutzhaftbefehl“ mit der Begründung, dass sie Verbindung zu sowjetischen Kriegsgefangenen unterhalten habe. Nach drei Wochen wurde sie zunächst wieder freigelassen, aber bereits am 29. Juni 1944 erneut, diesmal gemeinsam mit ihrem Mann, verhaftet. Sie wurde in einem Gerichtsverfahren zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt und in die Haftanstalt Waldheim verbracht. 1945 wurde sie von der Sowjetarmee aus dem Zuchthaus Waldheim befreit. Der Umgang mit Blei in Waldheim war die Ursache ihres Todes am 16. Juli 1964.

Ilse Frischmann starb am 5. Juli 2009 in Dresden.

Literatur:

audioscript – zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden 1933–1945, Ein Stadtrundgang in 13 Tracks – online abrufbar unter www.audioscript.net
„Das war die absolute Ausgrenzung!“, in: Dresdner Geschichtsverein e. V. (Hg.): Dresdner Hefte Nr. 35. Dresden 1993, Seite 27–33.
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e. V., Redaktion: Stellmacher, Hildegart: Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Berlin 1994.
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden, Arbeitskreis Gedenkbuch (Hg.): Buch der Erinnerung. Juden in Dresden – deportiert, ermordet, verschollen, Dresden 2006.
Nowojski, Walter (Hg.): Victor Klemperer: Die Tagebücher 1933–1945. CD-Rom. Kommentierte Gesamtausgabe, 2007.
Schindler, Joachim: Die jüdische Dresdner Bergsteigerin Ilse Frischmann. München 2005.
Schindler, Joachim: Wie die jüdische Bergsteigerin Ilse Frischmann aus Dresden Auschwitz überlebte, in: Schindler, Joachim: Rote Bergsteiger. Pirna 2021, Seite 103–111. Das Buch ist hier erhältlich: https://akubiz.de/38-verein/news/780-rote-bergsteiger-das-neue-buch-ueber-den-widerstand-aus-dem-bergsport-milieu

Apergia – Streik!

 

Heute, zum Tag der Arbeiter:innenbewegung, melden wir uns nach langer Zeit wieder mit einem Beitrag, diesmal zum griechischen Lied Apergia – Streik! Am 1. Mai 1890 wurden zum ersten Mal am „Protest- und Gedenktag“ in der ganzen Welt Demonstrationen und Streiks durchgeführt. Auch über 130 Jahre später ist Streik noch immer ein legitimes und zielführendes Mittel im Kampf um Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Doch nicht immer ist ein Streikaufruf auf die konkrete Situation in den Fabriken und Betrieben, auf den Feldern oder in den Minen bezogen. Ein Beispiel aus Griechenland zeigt, dass der Aufruf zum Streik auch die Verbesserung der Lebensbedingungen ganzer Bevölkerungsteile, hier der verarmten Landbevölkerung, zum Ziel haben kann.

Deshalb präsentieren wir euch ein griechisches Lied mit dem Namen Apergia (απεργία, „Streik). Der 1950 geborene  Sänger Vasilis Papakonstantinou veröffentliche das Stück 1975 auf seinem Album Ta Agrotika“ (Τα αγροτικά, „Das Ländliche“).

Apergia – Antifaschistischer Laienchor Pir-Moll, Probe im Juni 2020:
Das Album selbst wurde von Papakonstantinou gemeinsam mit Thomas Bakalakos schon 1973 geschrieben, wobei die griechische Militärjunta die Veröffentlichung, wie auch die Verbreitung der Lieder untersagte. Dennoch soll Bakalakos einige Lieder des Albums im August 1973 in einer Bar in Plaka, der historischen Altstadt Athens, gesungen haben – etwa ein halbes Jahr vor dem Niedergang der Junta und auch noch vor der Revolte vom 17. November 1973, die an der Polytechnischen Universität in Athen dutzende Todesopfer unter den Aufständischen forderte.

Papakonstantinou lebte zunächst mit seinen Eltern und seinen 15 Geschwistern in Athen. 1973 zog er nach München und unterstützte von dort aus den Kampf gegen die Junta, die seit Frühling 1967 herrschte. Nach ihrem Sturz, und der allmählich zurückkehrenden Demokratie, zog er wieder nach Griechenland und begann eine Zusammenarbeit mit dem bekannten Sänger Mikis Theodorakis. In den Folgeahren nahm er aktiv an Kundgebungen der Arbeiterbewegung teil oder sang bei ihren Streiks. Papakonstantinou ist bis heute ein beliebter griechischer Liedermacher und auch politischer Aktivist. Zuletzt setzte er sich vehement für das Οχι („Nein“) in der Volksabstimmung zu weiteren von der Troika auferlegten Sparmaßnahmen ein.

Inhaltlich bezieht sich der Text auf die existenziellen Nöte und daraus folgenden Kämpfe der griechischen Landbevölkerung zum Ende der Militärdiktatur. Um nachzuvollziehen, wie es dazu kam, lohnt wie immer der Exkurs in die Historie:

Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verließen schätzungsweise 200.000 Menschen (bei einer damaligen Bevölkerung von ca. 2,5 Millionen) das Land und wanderten größtenteils in die USA aus. Es folgten Jahrzehnte der politischen Instabilität im frühen 20. Jahrhundert und schließlich der Türkisch-Griechische Krieg (1919-1922), der in der „Kleinasiatischen Katastrophe“ von 1921/22 gipfelte. Sie bedeutete die Vertreibung von etwa 1,2 Millionen Griech:innen aus der Türkei und wiederum etwa 500.000 Muslim:innen aus dem griechischen Staatsgebiet in die Türkei. Etliche wechselnde Regierungskoalitionen und gescheiterte Putschte führten das Land schließlich ab 1936 in die monarchofaschistische Diktatur Metaxas‘. Mit dem Angriff italienischer Truppen im Oktober 1940 und schließlich dem Überfall der Wehrmacht ein halbes Jahr später, erlebte auch Griechenland die unvorstellbaren Greuel des Zweiten Weltkrieges. Allein im ersten Winter 1941/42 sollen schätzungweise bis zu 95.000 Menschen erfroren und verhungert sein. 81 Prozent der jüdischen Bevölkerung Griechenlands wurden in Vernichtungslagern in Polen ermordet.

Dennoch organisierte sich der Widerstand in der griechischen Gesellschaft, insbesondere in den ländlichen Gebieten Zentralgriechenlands. Er war geprägt durch die kommunistische EAM (Ethnikó Apelevtherotikó Métopo, „Nationale Befreiungsfront“), die ein Sammelbecken von Kommunist:innen, Sozialist:innen, Republikaner:innen und Gewerkschaftler:innen war und in wenigen Jahren zur Massenbewegung wurde. Dies hatte jedoch einen hohen Preis: Repressalien und willkürliche Morde der Wehrmacht und der SS gegen die Bevölkerung bestimmten den Alltag. Es gab Tausende Todesopfer.

Nicht nur im bewaffneten Kampf konnte sich die EAM bzw. der militärische Arm ELAS (Ethnikós Laikós Apelevtherotikós Stratós, „Volksbefreiungsarmee“) sowohl gegen andere royalistische oder nationalistische Partisan:innen-Gruppen, faschistische Kollaborateur:innen und schließlich auch im Kampf gegen die Achsenmächte durchsetzen. Die Bewegung errichtete in Teilen des Landes eine Basisdemokratie, führte das Frauenwahlrecht ein und konnte in den Bereichen Bildung, Kultur oder Gerichtsbarkeit gerade für die Landbevölkerung erkennbare Verbesserungen etablieren.

Allerdings wurden die Partisan:innen nach dem Abzug der Wehrmacht im Oktober 1944 bald als kommunistische Terrorverbände diskridetiert. Schon zuvor hatten sich royalistische und pro-britische Politiker in Griechenland in Stellung gebracht, die nun die Regierungsgewalt übernahmen. Großbritannien hatte ein großes Interesse daran, Griechenland im eigenen Einflussbereich zu halten, der Seeweg nach Indien musste unter Kontrolle bleiben, der Einfluss von Stalins Sowjetunion auf die kommunistisch orientierten Bevölkerungsteile geschwächt werden. Demnach sollte sogar die Monarchie wieder eingeführt werden. Im Dezember 1944 eskalierte die Situtation offen auf den Straßen Athens. Paritsan:innen-Verbände weigerten sich, ihre Waffen (wie auch ihre politischen und kulturellen Errungenschaften) herzugeben, britische Panzer schlugen den Aufstand nieder: Der Bürgerkrieg ging in die nächste Phase über. Die Fronten verliefen nun durch die Städte und Dörfer, oft durch die eigenen Familien. Die Resistance sollte vernichtet, die parlamentarische Monarchie wieder hergestellt werden. Emanzipatorische Kräfte, Kommunist:innen und Sozialist:innen mussten schon in den 1930er Jahren willkürliche Verhaftungen, Folterungen, Verbannung auf Gefängnisinseln und erzwungene Reueerklärungen ertragen. Diese Erfahrungen musste nun auch die nächste Generation machen. Etwa 130.000 Partisan:innen (bzw. deren Familien) flohen nach der Niederlage gegen die Royalisten nach Albanien und in andere sozialistische Länder.

Mit Beginn des Bürgerkrieges setzte in Griechenland außerdem eine neue Landflucht ein, die sich in den 1950er Jahren noch verschlimmerte, was vor allem Athen vor eine große Herausforderung stellte. Es kam zu einem planlosen Bauboom in der Stadt, der noch heute auffällig ist. Die ländliche Bevölkerung hatte kaum Arbeit, die meisten von ihnen lebten in Armut. Als schließlich in Australien und in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitskräfte gesucht wurden, setzte (erneut) eine Auswanderungswelle ein: Zwischen 1950 und 1974 verließen etwa eine Million Menschen das Land.

Der spezielle „ländliche Exodus“ (Αγροτική έξοδος) der Griech:innen war so quasi seit den ersten Verheerungen des Krieges über mehrere Jahrzehnte wirkmächtig in einer zuvor stark ländlich geprägten Gesellschaft. Neben der Auswanderung vieler Menschen aus eben diesen Gebieten in die Diaspora flohen ebenso viele Menschen aufgrund fehlender Perspektiven, aus Hunger und Armut in die wachsenden Großstädte, die zumindest prekäre Arbeitsperspektiven boten. In anderen Fällen war es den verfolgten Anhänger:innen der linken Parteien schlicht nicht mehr möglich, in ihrer Heimat zu leben; die anonymeren Städte versprachen dahingehend zumindest die Chance auf Arbeit, Ausbildung, Wohnraum.

Der prozentuale Anteil der Bevölkerung abseits der Städte Athen und Thessaloniki verringerte sich allein in den 1960er Jahren um ein Drittel – die ländliche Gesellschaft verlor so weite Teile ihres produktiven Potentials. Es wird ebenso geschätzt, dass über 80 % der in die Städte Strömenden zwischen 15 und 40 Jahre alt waren. Hunderte Dörfer wurden aufgegeben, ohne dass die folgende Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion die Situation der lokalen Bevölkerung verbessern konnte.

Die 1950er und 1960er Jahre in Griechenland werden gern als „steinerne Zeit“ bezeichnet, der Bürgerkrieg warf seinen Schatten und war omnipräsent. Dem Anschein nach hatte das Land eine parlamentarische Demokratie, tatsächlich herrschte ein totalitäres System. Militär, Polizei, Gendarmerie, Milizen, Justiz und Geheimdienste arbeiteten eng zusammen und bildeten einen im Untergrund agierenden „Nebenstaat“ (Parakratos). Diese Strukturen waren der parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle entzogen, hatten keinerlei Rechenschaftspflichten und arbeiteten eng mit den Sicherheitskräften zusammen. Dieses zunehmende Vakuum demokratischer Elemente mündete 1967 in den nächsten Putsch und die Militärdiktatur einer Gruppe von Obristen, nachweislich gestützt durch das US-amerikanische Außenministerium und die CIA, die auch schon in den Jahren zuvor den einzigen nicht-kommunistischen Staat auf dem Balkan militärisch und finanziell „unterstützte“.

Während der Junta wurden alle Organisationen, jede Art der Mobilisierung und demnach auch Streiks der Arbeiter:innen genauso verboten wie die Existenz von politischen Parteien. Infolgedessen brachen 1974 nach dem Ende der Diktatur spontane Arbeitskämpfe aus, die nicht von Parteien kontrolliert werden konnten. Diese spontanen und selbstorganisierten Kämpfe, die oft die Merkmale wilder Streiks oder Besetzungen annahmen, fanden bis zum Ende der 1970er Jahre wiederholt statt – und dies auch auf dem Land.

Hier gilt es den Bogen zum Lied zu spannen: „Auch wir wollen Brot. Auch die Bauernschaft hat Magen und Herz“ macht ziemlich deutlich, wie verloren und vergessen diese Menschen ihre Rolle in der Gesellschaft wahrnahmen. Folgerichtig wird aufgerufen, die Arbeit niederzulegen, mit den Traktoren in die Städte zu fahren. Tatsächlich gab es ab 1975 eine erstarkende Streikbewegung der Landwirt:innen, deren erste große Mobilisierung nach dem Fall der Junta im Februar 1975 etwa 3.000 Tomatenproduzent:innen aus Gastouni und Ilia mit 2.000 Traktoren veranlasste, wegen ihrer ungelösten Probleme nach Athen zu fahren.

Sie betonten: „Wir protestieren nachdrücklich gegen den Sicherheitspreis von Tomaten. Die Entscheidung der Regierung ist eine Provokation, weil die Interessen der Fabrikbesitzer erfüllt und gleichzeitig Tausende von Bauern ausgeraubt werden. Die Empörung von 3000 Landwirten wird fortlaufend durch die Politik der Verarmung und Vernichtung ausgelöst, die ihnen durch die Sicherheitsmaßnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse auferlegt wird. Diese Politik steht in krassem Gegensatz zu den Erklärungen der Regierung. Wir prangern es an und lehnen es ab!“ 

Gleichzeitig fand in Solidarität in Thessalien ein landwirtschaftlicher Streik statt. Die Märkte in Larissa, Trikala, Domoko, Sofades, Karditsa wurden boykottiert. Baumwollbauern verbrannen in den Dörfern Lofos und Evidrion ihre Ernte und weigerten sich, die staatlichen Vorgaben zu erfüllen. Die Regierung wiederum vermied es stur, die Forderungen der Tomatenbauern zu akzeptieren. In Psathopyrgos übernahmen an den Folgetagen Polizisten mit Straßensperren die Aufgabe, Proteste der Bauern zu zerschlagen. Student:innen und Bürger:innen aus Patras und den umliegenden Dörfern verteilten Wasser und Lebensmittel an die Streikenden.

Dieses Beispiel verdeutlicht anschaulich die erstarkende Streikbewegung, die nach der Metapolitefsi (Μεταπολίτευση, „Regimewechsel“) das ganze Land ergriff.

Im Übrigen ist die ländliche Bevölkerung Griechenlands auch heute noch in besonderem Ausmaß von Armut bedroht. Die erzwungenen Sparmaßnahmen der Troika bzw. der EU, die Liberalisierung der Märkte, die Privatisierungen und Steuererhöhungen fordern nach wie vor einen hohen Tribut. So stieg die Arbeitslosigkeit in den letzten zehn Jahren auf über 25 %, und auch aktuell gibt es in den ländlichen Regionen nur wenige junge Menschen, die ihre Zukunft nicht entweder in den griechischen Städten oder gar im Ausland sehen.

Deutsche Übersetzung des Liedes

Gebt alle eure Stimme
Wir wollen auch Brot
Auch die Bauernschaft
Hat Magen und Herz

Nachts und morgens
Sind wir eins mit der Erde
Es reicht, es reicht
Streik! Streik! Streik!

Mutter, bleib in deiner Ecke
Es beginnt ein neues Fest
Jetzt ist die Zeit gekommen
Dass wir ein bisschen vorankommen

Nachts und morgens
Sind wir eins mit der Erde
Es reicht, es reicht
Streik! Streik! Streik!

Es passen keine Worte mehr,
hört zu arbeiten auf
Mit den Traktoren aus dem Dorf
Fahren wir zur Stadt

Nachts und morgens
Sind wir eins mit der Erde
Es reicht, es reicht
Streik! Streik! Streik!

Griechischer Text des Liedes

Βάλτε όλοι μια φωνή,
θέλουμε κι εμείς ψωμί,
έχει και η αγροτιά
και στομάχι και καρδιά.

Νύχτα και πρωί,ένα με τη γη,
χωρίς ανάσα μια,
φτάνει πια, φτάνει πια.
Απεργία, απεργία, απεργία.

Μάνα κάτσε στη γωνιά,
άλλο γλέντι αρχινά,
τώρα ήρθε ο καιρός,
για να πάμε λίγο μπρος.

Νύχτα και πρωί,
ένα με τη γη,
χωρίς ανάσα μια,
φτάνει πια, φτάνει πια.
Απεργία, απεργία, απεργία.

Δε χωράνε λόγια πια,
παρατήστε τη δουλειά,
με τρακτέρ απ‘ το χωριό
για την πόλη μια και δυο.

Νύχτα και πρωί,
ένα με τη γη,
χωρίς ανάσα μια,
φτάνει πια, φτάνει πια.
Απεργία, απεργία, απεργία

Infos:

 

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72 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

 

Der Antifaschistische Laienchor unterstützt die Pirnaer Aktion #MenschPirna zum 72. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Wir sind Patin des Artikel 3 Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

„Für die Freiheit, für das Leben!“ – heißt für uns, antifaschistisch zu sein.

Mitunter teilen Bekannte anlässlich von Demonstrationen gegen Rassismus, gegen Nazis und Rechte oder deren Veranstaltungen uns mit, dass sie lieber nicht teilnehmen möchten, weil es immer nur „gegen“ etwas geht, weil sie lieber bei einer Demo mitlaufen wollen, die „für“ etwas ist. – Aber der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, gegen jede Art von Ungleichheitsideologie, gegen rechte Ideologien und Gruppierungen, ist notwendigerweise untrennbar mit der Verteidigung des Rechts auf Leben, Freiheit und Sicherheit eines jeden Menschen verbunden!
Wir nennen uns Antifaschistischer Laienchor Pir-Moll. Viele unserer Lieder erzählen vom Kampf für das Leben und für die gleichen Rechte aller Menschen. Wir singen auch Lieder aus der Zeit des Nationalsozialismus bzw. des Faschismus. Sie sind entstanden im Kampf gegen diese lebensfeindliche, tödliche Realität, in der Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Armut, Religion oder Behinderung das Recht auf Leben verwehrt wurde. Sie wurden entrechtet, gezählt, verraten, zwangsumgesiedelt, inhaftiert, gefoltert, hingerichtet, vernichtet.
Dies geschah in jedem Ort – auch in Pirna. Zum Beispiel liegt in der Schmiedestraße 8 die Fronfeste. Direkt nach der Wahl vom 5. März 1933 wurden Menschen hier eingesperrt und zum Teil ins KZ Hohnstein verschleppt. Einer der ersten Gefangenen der Pirnaer Fronfeste war der jüdische Zahnarzt Max Tabaschnik. Nach einer Hausdurchsuchung am 6. März 1933 wurde er am Abend des 25. März festgenommen und inhaftiert.
Auch ein Mangel an solidarischen Menschen und an politischen Gegner*innen der Nazis hatte diese Verbrechen möglich gemacht.
Verbunden mit der Hoffnung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit damit verhindern zu können, verkündeten die Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Doch spätestens seit den 1990er Jahren, den sogenannten #Baseballschlägerjahren, und auch heute, ist es nötig, dass wir täglich Stellung beziehen, widersprechen, eingreifen, dagegenhalten – gegen rechte Ideologien – für die Freiheit, für das Leben. Wir als Individuen müssen das tun, aber vor allem von unserem Staat erwarten wir, dass er alle nur denkbaren Anstrengungen unternimmt, um dieses Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen zu schützen, auf die sich sein politischer Einfluss erstreckt, sei es auf dem Gebiet der BRD oder an den Grenzen Europas.
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Informationen zur Aktion findet ihr unter www.mensch-pirna.de 
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Das Lied des KZ Sachsenburg 

Eines der sehr frühen Konzentrationslager, die schon in den ersten Monaten des Nationalsozialismus eingerichtet wurden, war die Sachsenburg, in einer ehemaligen Spinnerei in der Nähe von Chemnitz. Hier wurden an politischen Gegnern die Methoden erprobt, die in den späteren großen Konzentrationslagern angewandt wurden.
Anfang des Jahres 2020 erreichte uns die Anfrage aus der Gedenkstätte Sachsenburg, ob wir für unseren Auftritt zur dortigen Gedenkveranstaltung Sachsenburger Dialog das Lied des Lagers aufführen könnten. Dafür bekamen wir die Kopie einer Handschrift von 1964, in der eine einfache Melodie und der Text für drei Strophen festgehalten waren. Dieser Melodie stellten wir eine Gitarrenbegleitung zur Seite. Angelehnt an ein Blatt mit einem Chorsatz für vier Stimmen und zwei Trompeten, arrangiert von Fritz Herberger, bekam das Lied von uns noch eine zweite Stimme. Inzwischen wissen wir, dass sich auch noch zwei weitere Chöre bzw. Chorleiter in diesem Jahr mit dem Arrangement dieses Liedes befasst haben. Wir kennen noch keine dieser Versionen. Dies ist eine unserer ersten Interpretationen des Liedes.
Das Lied von der Sachsenburg – Antifaschistischer Laienchor Pir-Moll, Probe im Juni 2020:
Pir-Moll-Bodenkleber vor der ehemaligen Fronfeste in der Schmiedestraße in Pirna, geklebt am 17.12.2020
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Konjuh Planinom

Konjuh Summit from Zidine

Auf dem Berg Konjuh … – das Partisan*innenlied „Konjuh Planinom“

„[…] Mrtvoga drugara, husinskog rudara,
Sahranjuje četa proletera.“

„[…] ein toter Freund, ein Bergmann aus Husino,
es begräbt ihn eine Gesellschaft von Proletariern.“

Wir arbeiten gerade mit Nachdruck an einer Interpretation des jugoslawischen Partisan*innenliedes „Konjuh Planinom“ (dt: Auf dem Berg Konjuh). Diesen Monat vor 79 Jahren, im Oktober 1941, starb der Partisan und antifaschistische Widerstandskämpfer Petar Pejo Marković auf diesem Berg Konjuh. Dazu möchten wir euch gerne einige Informationen an die Hand geben.

Hintergrund: Die Lage in Bosnien ab 1941

Nachdem die deutsche Wehrmacht ab dem 06. April 1941 im Zuge des Balkanfeldzugs nur elf Tage gebraucht hatte, um die königlich-jugoslawische Armee zur Kapitulation zu zwingen, erfolgte die Zerschlagung des südslawischen Staates und anschließend die Aufteilung desselben zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien. Dabei entstand ein Flickenteppich von annektieren Gebieten, okkupierten Regionen und willigen Vasallenstaaten. Bosnien und die Herzegowina wurden dem neu entstandenen „Unabhängigen Staat Kroatien“ zugeschlagen. Da sich der populäre Führer der Kroatischen Bauernpartei Vladko Maček weigerte, einem solchen Marionettenstaat vorzustehen, hievten die Deutschen Ante Pavelić und seine faschistische Ustaša-Bewegung ins Amt. Anders als in (Rest-)Serbien, wo General Milan Nedić, welcher sich nur auf die faschistische ZBOR-Bewegung stützte, so gut wie keinen Rückhalt in der Bevölkerung genoss, sympathisierten in Kroatien nicht wenige mit der Herauslösung aus dem ungeliebten Königreich. Diese nationalistischen Tendenzen zogen sich bis tief in Teile der Kommunistischen Partei Kroatiens. Doch die anfängliche Begeisterung währte nicht lange. Nicht nur die erzwungene Abtretung großer Teile der dalmatinischen Küste und der Bucht von Kotor an Italien ließ den Traum vom Groß-Kroatien zu einem kroatischen Albtraum werden, auch konnten sich viele Kroat*innen mit dem chauvinistischen Weltbild der Ustaša, welches diese auch zunehmend in die Tat umsetzte, nicht identifizieren – von bosnischen Serb*innen und Muslim*innen ganz zu schweigen.

Währenddessen begann die deutsche Besatzungsmacht, den Völkermord an den jugoslawischen Juden*, Jüdinnen* und Rom*nija durchzuführen. Dabei fand sie in der Ustaša tatkräftige Unterstützung.

Der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 schließlich fungierte als Initialzündung für die Aufnahme des Partisan*innenkampfes in Jugoslawien.

Verglichen mit anderen Teilen Jugoslawiens verfügte die Kommunistische Partei in Bosnien und der Herzegowina nur über wenige Mitglieder und damit über eine schwache Infrastruktur. An einen flächendeckenden Aufstand – wie etwa in Montenegro ab dem 13. Juli 1941 – war gar nicht zu denken. Doch gelang es ihr, durch die Aufstellung kleiner Partisan*inneneinheiten stetig Boden zu gewinnen.

Langfristig sollte sich der multiethnische Charakter Bosniens positiv auf die Mobilisierung für die Volksbefreiungsarmee auswirken. Manche Gegenden des Landes wurden wechselseitig immer wieder von Besatzungstruppen, Ustaše und Tschetniks heimgesucht. Die unbeschreiblichen Gräuel, welche kroatische Ustaše und serbische Tschetniks an den jeweils anderen Volksgruppen verübten, sowie die „Sühnemaßnamen“ von Wehrmacht und SS trieben selbst jene, die dem Marxismus kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, aus schierer Verzweiflung in die Arme der Tito-Partisan*innen. Auch die zunehmend zwischen die Fronten geratenden bosnischen Muslim*innen schlossen sich vermehrt der Volksbefreiungsbewegung an. Diese konnte glaubhaft vermitteln, dass sie gleichzeitig als Emanzipationsbewegung aller und jeder einzelnen Ethnie fungierte und dies auch bei einer zukünftigen gesellschaftlichen Neuordnung Jugoslawiens berücksichtigen würde.

Gegen Ende des Krieges kämpften 140.000 bosnische Partisan*innen unter Titos Führung.

Petar Pejo Marković und die Ozren-Brigade

Petar Marković – Pejo
Petar Marković – Pejo (geboren am 07.07.1920, gestorben im Oktober 1941)

Pejo wurde am 07. Juli 1920 im Dorf Lipice in der Nähe der Stadt Tuzla in eine katholische Bergarbeiterfamilie geboren. Da er im Alter von acht Jahren seinen Vater verlor, war er gezwungen, sich in den Dienst wohlhabender Familien zu stellen. Bei der Arbeit kam er in Kontakt zur Revolutionären Jugend in Husino. Er trat dem kommunistischen Jugendverband SKOJ und Anfang 1941 der Kommunistischen Partei Jugoslawiens bei.

Nach der Besetzung Jugoslawiens arbeitete er daran, Waffen zu sammeln und Bergleute zu mobilisieren, um sich den Partisan*innen anzuschließen. Im August 1941 war er Organisator der Abreise einer ganzen Gruppe von Bergleuten aus Husino zu den Partisan*innen. Er zeichnete sich durch die erste und bekannte Aktion der Ozren-Partisan*innenabteilung beim Angriff auf Doboj und Usora aus. Bei diesem Unternehmen wurde eine große Anzahl feindlicher Flugzeuge, Kanonen und Gewehrmunition in die Luft gesprengt. Er nahm auch an den nächsten Schlachten der Abteilung auf die Tuzla-Doboj-Eisenbahn teil.
Als ein Teil der Ozren-Abteilung zusammen mit der Birčani-Abteilung im Oktober 1941 an dem Angriff auf Kladanj teilnehmen sollte, gehörte Pejo zu den etwa einhundert Kämpfenden, die sich gezwungen sahen, in 24 Stunden das feindliche Gebiet um den Konjuh-Berg zu durchbrechen und sofort in den Kampf einzutreten. In zwei Tagen des Kampfes eroberte die Ozren-Abteilung Stupari, zerstörte das Wasserversorgungssystem von Tuzla und die große Steinbrücke. Bei dieser Gelegenheit wurden die gesamte in die Schlacht verwickelte Kroatische Heimwehr geschlagen und mehrere Maschinengewehre beschlagnahmt. Pejo nahm als Kompaniechef an diesen Schlachten teil. Der Feind wurde zurückgeschlagen, aber Pejo wurde schwer verwundet. Seine Mitstreiter*innen wickelten ihn in Decken und trugen ihn auf einer Trage durch die Nacht über den Berg Konjuh zurück. Als sie die Spitze des Berges erreichten, bemerkten sie, dass er unterwegs gestorben war. Er wurde unweit des Gipfels des Konjuh-Bergs begraben. Sein genauer Todestag ist nicht bekannt.

Aufstieg zum Grab von Petar Pejo Marković auf dem Berg Konjuh, Foto: Edita Mušić, 2018
Aufstieg zum Grab von Petar Pejo Marković auf dem Berg Konjuh, Foto: Edita Mušić, 2018

Entstehung des Liedes

Während der Überquerung einer Gruppe ostbosnischer Bataillone über den Konjuh (26. Mai 1942) verweilten ehemaliger Mitstreiter*innen von Pejo an der Stelle, an der er begraben wurde, und schwenkten eine rote Fahne. Das inspirierte den Kämpfer Miloš Popović, Professor für Philosophie, Dichter und Partisan, der schon an der Beerdigung und später der Gedenkzeremonie teilgenommen hatte, das Lied „Konjuh Planinom“ zu entwerfen.
Die Musik für das Lied wurde von Oscar Danon, einem bedeutenden jugoslawischen Komponisten, geschrieben, der ebenfalls am Nationalen Befreiungskrieg teilgenommen hat.

Nachwirkungen

Durch Dekret des Präsidiums der Nationalversammlung der Bundesrepublik Jugoslawien vom 20. Dezember 1951 wurde Pejo zum Nationalhelden ernannt.

In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Lied „Konjuh Planinom“ immer wieder mit dem „Aufstand von Husino“ in Verbindung gebracht – einem im Jahr 1920 im damaligen „Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen“ von den Gewerkschaften und der KPJ organisierten Bergarbeiterstreik, welcher sich zu einem bewaffneten Aufstand ausweitete und von der königlichen jugoslawischen Armee blutig niedergeschlagen wurde. Tatsächlich gilt es als sehr unwahrscheinlich, dass das Lied zu diesem Zeitpunkt bereits existierte. Die einzige Verbindung zwischen dem Streik und den Aktivitäten der Partisan*innen gut zwanzig Jahre später scheint zu sein, dass es sich jeweils um Bergarbeiter aus Husino handelte.

Unter der Regie von Fadil Hadžić entstand 1966 ein jugoslawischer Monumentalfilm, im welchem die Ereignisse im Oktober 1941 mit künstlerischer Freiheit verarbeitet wurden.

Das Grab von Petar Pejo Marković
Das Grab von Petar Pejo Marković, Foto: Dalibor Pasalic

Im sozialistischen Jugoslawien erfreute sich das Lied großer Beliebtheit. Aufgrund seiner traurigen Thematik und der melancholischen Grundstimmung wurde es häufig auf Beerdigungen aufgeführt bzw. gesungen.

Auch heute noch ist „Konjuh Planinom“ Teil des kollektiven Gedächtnisses. Als im Februar 2014 die Massenerhebungen gegen Korruption und Massenarbeitslosigkeit („Bosnischer Frühling“) ausbrachen, sangen die demonstrierenden Menschen dieses Lied. Es waren die ersten Proteste in Bosnien-Herzegowina nach dem Zerfall Jugoslawiens, an denen sich alle ethnischen Gruppierungen des Landes mit einem gemeinsamen Ziel beteiligten.

Nach „Hej haj Brigade“ ist „Konjuh Planinom“ unser zweites Lied in serbokroatischer Sprache. Wir möchten mit ihm an die mutigen Kämpfer*innen erinnern, die unter widrigsten Bedingungen ganz wesentlich zur Befreiung der Menschen vom Faschismus in Jugoslawien beigetragen haben.

Smrt fašizmu, sloboda narodu!

 

Titelfoto: Konjuh mountain summit – photo taken from nearby hill Zidine, by Banoviciminer – Own work, CC BY 4.0.
Das Foto von Edita Mušić (Aufstieg zum Grab von Petar Pejo Marković auf dem Berg Konjuh) stammt aus: Mušić, Edita; Lawler, Andrew (2018): Monuments and memorials to the people’s liberation war on the territory of Bosnia and Herzegowina – their current status and condition, S. 26.

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Das Lied von Soja Kosmodemjanskaja

Soja Kosmodemjanskaja

Ein neues Lied bei Pir-Moll

Heute vor 97 Jahren, am 13. September 1923, wurde Soja Kosmodemjanskaja etwa 400 Kilometer südöstlich von Moskau geboren. Sie schloss sich mit 15 Jahren dem Komsomol an, der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, gegen Ende der Zeit des Großen Terrors, der stalinschen Säuberungswelle gegen politische Gegner. Ende Oktober 1941, inmitten der Schlacht um Moskau, meldete sie sich für den Dienst in einer Partisaneneinheit. Sie wurde in den Partisanen-Truppenteil Nr. 9903 der Westfront der Roten Armee aufgenommen. Die Aufgabe dieses Truppenteils waren Sabotageaktionen, insbesondere die Zerstörung von potenziellen deutschen Unterkünften der Wehrmacht hinter der Frontlinie, also im bereits besetzen Gebiet. 1941 war die damals erst achtzehnjährige Soja an mehreren dieser Aktionen beteiligt.

Diese Aktionen gingen zurück auf den Stawka-Befehl Nr. 0428 vom 17. November 1941, in dem Stalin auf dem Höhepunkt des Vorstoßes der Wehrmacht anordnete, ohne Rücksicht auf die dadurch verursachten Verluste für die eigene Zivilbevölkerung, alle Siedlungen und Infrastruktur 40 bis 60 Kilometer hinter der Frontlinie und jeweils 20 bis 30 Kilometer links und rechts der Straßen zu zerstören. Das Ziel war, es damit der Wehrmacht zu verunmöglichen, sich dort einzuquartieren und sich vor der Roten Armee und den Partisan*innen sowie vor dem unterschätzten Wintereinbruch zu schützen. Zu diesem Befehl wurde übrigens eine revisionistische Fälschung in Umlauf gebracht, mit der durch eingefügte Textpassagen deutsche Verbrechen an der sowjetischen Zivilbevölkerung der Roten Armee untergeschoben werden sollten. Die Geschichte der Fälschung dieses Befehls und auch der ins Deutsche übersetzte Originalwortlaut sind hier zu lesen.

Am Abend des 27. November 1941, nur 10 Tage nach dem Stawka-Befehl Nr. 0428, wurde Soja dann bei einem solchen Versuch, ein Dorf anzuzünden, entdeckt und verraten. Sie wurde durch Angehörige der 197. Infanterie-Division der deutschen Wehrmacht verhört, gefoltert und zwei Tage später, am Morgen des 29. November 1941 auf dem Dorfplatz von Petrischtschewo gehängt. Ihr Körper wurde zur Abschreckung noch mehrere Wochen dort liegen gelassen. Fotos von ihrer Hinrichtung und ihrem zugerichteten Leichnam im Schnee spiegeln den Hass der Männer in den deutschen Truppen wider auf Frauen, die sich bewaffneten und gegen die Wehrmacht kämpften. Solche Fotos befanden sich wie Trophäen in privaten Fotosammlungen von Wehrmachtssoldaten.

Die Geschichte dieser jungen Frau hat viele Menschen bewegt, und auch wir möchten ihr weiter nachgehen. Das ist uns wichtig, weil insbesondere der bewaffnete Kampf von Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus noch immer keine ausreichende Würdigung findet. In der Sowjetunion und auch später in der DDR wurde sie umgehend zur Propagandafigur aufgebaut. Die Rezeption ihrer Person bewegt sich zwischen den Polen „Handlangerin Stalins“ einerseits und „Widerstandskämpferin gegen Faschismus und Nationalsozialismus“ andererseits. Das Mädchen, die Frau, der Mensch Soja Kosmodemjanskaja ist in den vielen Denkmälern, die ihr gesetzt wurden, sicherlich kaum erkennbar. Und trotzdem es dringend notwendig ist, sich der sowjetischen Propagandaerzählung über ihr Leben und ihren Tod kritisch zu nähern, steht trotzdem fest, dass es auch ihren Taten zu verdanken ist, dass Deutschland im Mai 1945 kapitulieren musste.

unser Gesangsblatt Soja Kosmodemjanskaja in Russisch und Deutsch

Soja Kosmodemjanskaja wurde ein Lied gewidmet, das ihre Geschichte erzählt. Dieses Lied fand den Weg zu uns über eine Schallplatte der Holocaustüberlebenden Esther Bejerano. Auf „Lieder aus dem Widerstand“ von 1987 interpretiert sie das russische Lied. Wann ihr unsere Version zum ersten Mal live hören werdet, können wir noch nicht sagen … nur soviel: Wir freuen uns bereits darauf!

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Kosmopolit

 

Fischia il Vento

 

Fischia il vento ist ein Lied der italienischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus auf die Melodie von „Katjuscha“. Als Autor gilt Felice Cascione, ein junger Antifaschist. Kurz nachdem er seinen Medizinabschluss an der Universität Bologna gemacht hatte, besetzten nationalsozialistische Truppen Italien und Cascione trat der Resistenza bei. Ende November 1943 zogen Felice Cascione und eine Gruppe Garibaldini an einen sichereren Ort. Sie bezogen ein zweistöckiges Gebäude, das im ligurischen Wald bei Ciccioni versteckt ist.

Casone Fischia il vento
Casone Fischia il Vento

Die aus etwa 40 Partisan*innen bestehende Gruppe hatte die Idee, eine Hymne der Resistenza zu schreiben. Sie mochten die Melodie des russischen Liedes „Katjuscha“, welches Giacomo Sibilla, der am Don gekämpft hatte, mitgebracht hatte. In den ersten zehn Tagen des Dezember 1943 nahm die erste Strophe Gestalt an. Fertiggestellt wurde „Fischia il Vento“ einige Kilometer entfernt in den Wäldern von Curenna, wohin die Gruppe der Partisan*innen fliehen musste.

Am Ort der Entstehung steht noch heute die Ruine des Hauses und eine Erinnerungstafel. Eine Wanderung oder eine Fahrt mit dem Auto bringt Interessierte vom Ort Ciccioni an einen kleinen Platz vor der Kirche Madonetta. Ein Wanderweg, der mit einem roten und einem gelben Punkt gekennzeichnet ist, führt aufwärts zu den Bergen Pizzo Montin / Pizzo d´Evigno. Der immer schlechter „ausgebaute“ Weg wird später auch mit einem blauen C (für Casone oder Cascione) markiert. Nach etwa einer halben Stunde erreicht man dann die Ruine des „Casone Fischia il Vento“ und auf dessen Rückseite die Informationstafel zur Geschichte des Liedes.

Info-Tafel am Gedenkort Casone Fischia il vento
Infotafel am Gedenkort

Die Aufnahme dieses Liedes haben wir im April 2020, während der Covid-19-Pandemie, aus lauter Einzelaufnahmen zusammengeschnitten. Zum Tag der Befreiung Italiens sendeten wir die Aufnahme an ehemalige Partisan*innen der Provinz Reggio Emilia, die den Tag nicht wie gewohnt feiern konnten.

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